Deadlines
...oder auch: Don't drink at work...

Das war die Zeit vor ca. 13 Jahren, in der ich so ca. 12 bis 14 Stunden pro Tag gearbeitet habe- eines Tages sollten abends TERMINGEMÄSS noch die Druckdaten der 'Apotheker-Umschau' fertiggestellt werden. Über 2 GB Daten auf drei Magneto-Optical Discs (MOD)- dem Urvater der CD-R. Meine Aufgabe in der Druckvorstufe dabei war, die Layout-Daten in ein Format zu konvertieren, das die Belichter der Tiefddruckerei verstanden. Nebenbei mußte ich den Redaktionsanweisungen für Korrekturen folgen, also den Satz neu umbrechen, Retusche, Farbkorrektur, Photoshop-Compositing, Absoften, etc. Muß man sich mal vorstellen: Würde ich auch nur auf einer Seite einen größeren Fehler machen, dann wäre ein Tiefdruckzylinder im Eimer und müßte neu galvanisiert und graviert werden. Kosten: damals ca. 20.000 DM.

Nachdem ich also um 22 Uhr die Hälfte der 74 Seiten des aktuellen Apotheker- Wurstblattes fertig hatte, war ich alleine in der Firma. Es war ein ansonsten sehr freundlicher Donnerstag im Herbst '95, und jeder meiner Freunde würde vor dem Fernseher oder auf der Freundin abhängen...
Aus Frust über die langen Arbeitszeit nahm ich mir die Flasche 'Fürst von Metternich', die noch Weihnachten übrig war, und trank erstmal ein Drittel. Nach einer Weile war es mir ziemlich egal, wie lange ich noch brauchen würde. Alles gaaanz easy: eingescannte Dias- Pffft- in Photoshop ein paar Fussel entfernt, ein bisserl knackiger gemacht. Kinderspiel. Fertig. Nächstes. Dazwischen noch zwei Halbe Bier aus dem Tragerl von irgend so einem Firmen-Spacko geklaut. Ein Text, der nicht mehr in eine Spalte passte: Kein Problem- kürzen wir um ein paar Worte (Was redaktionell natürlich absolut VERBOTEN WAR) und unterschneiden halt ein bisserl (die Lettern der Schrift rücken näher zusammen (was satztechnisch STRENG UNTERSAGT IST)). Ich dachte mir einfach, hey- die von der Bild- Zeitung machen das jeden Tag, und haben auch noch einen Heidenspaß dabei.

Nach 2/3 der Sektflasche (und den 2 Bier) wurde mir ziemlich schwindlig, da ich noch nichts gegessen hatte (keine Zeit). Aber ich machte weiter, und brannte alles auf die MODs. So gegen 2 Uhr nachts plagte mich ein wahrlich explosiver Würgereiz, und kotzte spontan in den Mülleimer. Den im Klo auszuspülen war nicht einfach- denn erstens war ich besoffen, und zweitens konnte ich den Mülleimer nicht so richtig zwischen Wasserhahn und Waschbecken 'reinhängen. Das konnte ich nur, indem ich ein Auge zukniff. Dadurch konnte ich eins der beiden Bilder, die inzwischen versetzt in meinem Hirn ankamen, ausblenden. Danach holte ich erstmal Luft und außerdem noch eine Halbe. Ich mußte ja noch zig Seiten brennen- mit lähmend 2-facher Schreibgeschwindigkeit. Dazwischen leerte ich die Sektflasche, und kotzte diesmal eiskalt geplant und konzentriert in die Kloschüssel, und holte auf der Firmenterrasse tief Luft. Um 4 Uhr früh stieg ich erstaunlich wach mit gefühlten 0,8 Promille in meinen '83 Honda Accord, und fuhr nach Hause. Das waren nur 7 km, und die Straßen waren leer.

Am nächsten Tag um Vierzehnhundert (ich war ja wieder brav pünktlich erschienen) frug mich der Oberchef aufgebracht, ob ich besoffen gewesen war- ich verneinte, denn schließlich war ich das noch immer. Ich konnte meine zugeschwollenen Augen nur 5 mm öffnen. Obwohl der aus dem säuerlich stinkenden Mülleimer herausragende Flaschenboden eher einen mittleren Exzess andeutete. Jedenfalls mußte nur ein Viertel der von mir bearbeiteten Seiten noch überarbeitet werden, um noch rechtzeitig gedruckt werden zu können. Aha. Dafür waren also doch noch 6 Stunden Zeit...

Nachträglich tut es mir natürlich leid, daß ich mich zulaufen ließ, besonders deswegen, weil ich damals ja Nachtzuschlag und Überstunden bezahlt bekam- nichtsdestotrotz: Deadlines sind für den Arsch, wenn der gesamte Zeitplan schlecht organisiert ist, und Mitarbeiter dadurch zu leiden haben. Es wird sich in Redaktionen/ Agenturen immer ein Depp finden, der die Zeitvorgabe aus Loyalität/ Liebe zur Firma/ erhofften Aufstiegschancen einzuhalten versucht.

Aber: Jeder muß selbst herausfinden, ob es wirklich wert ist, seine Lebenszeit für ein Werbeprodukt zu opfern, das sowieso irgendwann im Mülleimer landet. Auch, wenn er dafür bezahlt wird.

Darüber denke ich in letzter Zeit ziemlich viel nach.

'If you wanna be rich
You've got to be a bitch"

('White Horse', Laid Back, 1983)



Ollie 1996
   Kommentieren